Pessach 2022
Unterwegs mit Rabbi Naki in Jerusalem
Ein Bericht von Jürgen Wick
Seit fünf Jahren kenne ich ihn nun schon, den orthodoxen Rabbiner Yitzhak Naki aus Mea Shearim in Jerusalem. Viel hat er mir erzählt über Noam Eliezer, sein Hilfswerk zur Unterstützung bedürftiger jüdischer Mitbürger, und vor allem auch oft verarmter Familien mit vielen Kindern. In den hinteren Räumen seiner Jeschiwa sah ich all die guten Sachen, die er in Jerusalem an die verteilt, die in Not geraten sind :
Warme Kleidung verschiedener Größen für die Winterzeit , Schultaschen inklusive aller notwendigen Utensilien, Gutscheine für Sach- und Haushaltsgüter, Gaben für die jüdischen Festtage usw.
Schon lange wollte ich mehr wissen über die Empfänger, die diese Unterstützung erhalten.
Verarmte Familien und Leute in Not sind in Jerusalem nicht selten und gehören teilweise mit zum Stadtbild. Manchen bleibt kein anderer Ausweg außer betteln zu gehen.
Rabbi Naki geht an der Not dieser Leute nicht vorbei. Unermüdlich organisiert er so viel Unterstützung wie möglich. Und er weiß sehr genau, wie sensibel es ist, Bedürftigen die notwendige Hilfe zukommen zu lassen. Niemand, der in Not geratenen ist, möchte mit seiner Hilfsbedürftigkeit in der Öffentlichkeit bekannt werden.
Rabbi Naki zeigt allen Leuten, die er unterstützt, großes Verständnis, Feingefühl und Respekt.
Mitten in den Feiertagen des diesjährigen Pessachfestes hatten meine Frau und ich zum ersten Mal die Gelegenheit, mit Rabbi Naki zusammen einige der Bedürftigen zu besuchen. Fotos von den besuchten Personen haben wir aus guten Gründen nicht gemacht.
Gerne aber möchte ich hier von diesen Begegnungen berichten.
Unweit der Jaffastraße treffen wir David. Er ist in einem schicken Anzug gekommen, hat einen beeindruckenden Bart und trägt, wie es als Jude sein soll, eine Kippa und natürlich auch die Zizit. Er begegnet uns offen und herzlich und erzählt von seiner Familie. Seine Frau und seine 13 Kinder hat er zu Hause in seiner Wohnung gelassen. David ist der einzige an diesem Tag, den wir zusammen mit Rabbi Naki fotografieren dürfen.
Später erzählt uns Rabbi Naki, dass er David finanziell massiv unterstützen muss.
Nun fahren wir in eine der Wohnsiedlungen von Mea Shearim zu Orli. Sie ist seit 5 Jahren Witwe, lebt in einer kleinen 3-Zimmerwohnung auf engem Raum mit ihren Kindern und auch zusammen ihrem Schwiegersohn. Sie empfängt uns herzlich. Rebekka, eine ihrer Töchter ist schon über 20 Jahre alt, und hat Spaß daran, mit uns englisch zu sprechen.
Die Wohnungseinrichtung ist alt. In der Küche scheint der eigentliche Herd kaputt zu sein. So wird ein externer Gasherd genutzt. Da wenig Platz ist, wird der gesamte Hausrat kreuz und quer abgelegt, so dass alles chaotisch und unaufgeräumt ist. Der Wohnzimmerbereich dagegen hat eine gemütliche Atmosphäre. In einem schönen verglasten Wandschrank steht eine Bibliothek voller Bücher zum jüdischen Glauben. Einen Ehrenplatz haben Bilder der verehrten Gemeinderabbiner.
Trotz allen materiellen Sorgen und Einschränkungen spürten wir einen guten Geist und eine Atmosphäre des Glaubens in dieser Familie. Rabbi Naki lässt der Familie regelmäßig finanzielle Unterstützung zukommen.
Wir verabschieden uns mit einem Segensgebet und fahren über die grüne Linie in eine Siedlung in Ostjerusalem.
Was wir hier zu sehen bekommen, ist niederschmetternd. Der Vater der Familie war gerade außer Haus. Als wir die Wohnung betreten, schlägt uns ein dumpfer, übler Geruch entgegen. Das Wohnzimmer ist mit sieben Käfigen voll mit Kanarienvögeln und Sittichen zugestellt, die offensichtlich nicht gut gereinigt sind. Auf dem Fußboden liegt überall Dreck herum. Rabbi Naki hatte uns vorgewarnt, dass es große Probleme mit dieser Familie gibt. Die Mutter ist offensichtlich geistig eingeschränkt und zu einer normalen Haushaltsführung nicht in der Lage. Auch die Kinder sind geistig behindert. Eine Tochter, vielleicht 20 Jahre alt, liegt auf dem Wohnzimmersofa und spielt mit ihrem Handy.
Der erwachsene Sohn der Familie begleitet uns durch die Wohnung. Wir bleiben hier nur kurz. Auf dem Rückweg erklärt uns Rabbi Naki, dass diese Familie wegen den Behinderungen ihr Leben nicht selbstständig organisieren kann. Da Geldzuwendungen hier keinen Sinn haben, hilft Noam Eliezer hier auf andere Weise durch die Gabe von Gutscheinen zum Erhalt der dringend notwendigen Sachgüter, die dem Familienvater übergeben werden. Außerdem beauftragt Rabbi Naki regelmäßig Helfer, die den Haushalt wieder in Ordnung bringen und die Wohnung säubern.
Zum Ende unserer Besuche fahren wir zur Familie der schwerstkranken Orna. Sie ist ca. 20 Jahre alt und leidet unter ALS (Amyotrophe Lateralsklerose). Der Muskelschwund ist bei ihr extrem weit fortgeschritten. Sie kann nur noch im Bett liegen. Bis auf ihre Finger kann Orna sich nicht mehr bewegen. Selbst die Lungenmuskulatur ist bereits schwer geschädigt, so dass Orna ununterbrochen maschinelle Atemunterstützung mit Sauerstoffzugabe benötigt. Da in dem Mietshaus ab und zu der Strom ausfällt, musste von Noam Eliezer ein teures geeignetes Notstromaggregat beschafft werden, damit die Beatmungsmaschine im Ernstfall weiterläuft. Ohne die Beatmung würde Orna sonst ersticken.
Die Situation in der Familie von Orna ist überaus schwierig. Ester, ihre Mutter kann die Wohnung normalerweise nie verlassen, da die Tochter vollkommen abhängig von der pflegerischen Versorgung ist.
Bevor Orna schwer krank wurde, starb der Sohn der Familie zuvor als junger Mann – er litt auch an Muskelschwund. Der Familienvater war über den Tod seines Sohnes so geschockt, dass er selber an einem Herzinfarkt erlitt und starb. Nun liegt die ganze Last der Pflege von Orna bei ihrer Mutter. Shirley, die ältere Schwester von Orna, ist blind und kann daher pflegerisch kaum helfen. Shirli ist aber die Einzige, die als Englischlehrerin in einer Behindertenschule unterrichtet und etwas Geld verdient.
Von der Lebenslage in Ornas Familie sind wir geschockt. So eine Anhäufung von gesundheitlichem Unglück ist kaum zu fassen.
Um Ornas Mutter wenigstens etwas zu entlasten, kommt Zippora, die Frau von Rabbi Naki, jeden Montag tagsüber zu Orna. Da Orna geistig völlig uneingeschränkt ist, liest Zippora ihr Geschichten vor, spricht und malt mit ihr. Mit Zipporas Hilfe kann Orna mit einem Stift malen.
Nach dem Besuch bei Orna fährt uns Rabbi Naki wieder ins Zentrum von Jerusalem.
Carren und ich sind erschüttert und fast sprachlos von den Eindrücken unserer Besuche. Jetzt können wir ermessen, was für eine gigantische Aufgabe Rabbi Naki auf sich nimmt. Wir bewundern seine Hingabe und auch die große Unterstützung, die seine Frau Zippora für die Bedürftigen leistet.
An diesem Tag haben wir ja nur einen kleinen Ausschnitt der Arbeit von Noam Eliezer gesehen!
Viele, die in Not gekommen sind, wissen, dass Rabbi Naki mit großer Leidenschaft, aber auch mit einem sehr realistischen Blick hilft. Wo keine echte Not vorhanden ist, da lehnt er Wünsche nach unberechtigter Hilfe auch ab. Die Hilfsbereitschaft von Rabbi Naki ist in ganz Jerusalem bekannt.
Drei Tage nach unserer Besuchstour ist Shabbat. Rabbi Naki hat Carren und mich zu einem feierlichen Essen in sein Haus eingeladen. Seine ganze Familie ist gekommen. Wir sind 25 Personen. Alle Söhne und Töchter mit ihren Ehepartnern und den Enkelkindern sind gekommen. Außer uns sind auch vier taiwanesische Christen zu Gast. Auch sie sind Unterstützer von Noam Elieser. Zippora hat eine wunderschöne Festtafel vorbereitet und serviert ein großartiges koscheres Essen!
So erleben wir ganz besondere Stunden miteinander in einer herzlichen Atmosphäre fröhlichen Glaubens.
Rabbi Naki und seine Frau Zippora sind wirklich besondere Menschen, die sich von Gottes Geist bewegen lassen. Für uns sind sie großartige jüdische Vorbilder. Es ist ein großer Segen, sie zu kennen und mit ihrem Hilfswerk Noam Eliezer zu unterstützen.